Deutschland ist das Land der „Bedenkenträger“. Gehörst du auch zu dieser Gattung? Unabhängig davon, ob du diese Frage bejahst oder verneinst, finden sich nachfolgend einige Faktoren, die für den Erfolg von Fotoprojekten eine (entscheidende) Rolle spielen.

Thema

Es macht einen großen Unterschied, ob deine Bildstrecke im Rahmen einer Dienstleistung für einen Kunden, z.B. einen Eventveranstalter entsteht oder diese das Ergebnis eines persönlichen Projektes ist. Während mit dem Kunden vorab klar vereinbart wird, welche Elemente diesem wichtig sind und du eine sichere Bezahlung in Aussicht hast, sind persönliche Projekte eine ganz andere Welt. In der Regel wirst du für diese nicht bezahlt, bist dafür aber frei in deiner Herangehensweise und im persönlichen Blickwinkel. Auf lange Sicht kann dir dieses Aufzeigen deiner Interessen mehr Kunden bringen, die dich als Person, deinen ganz eigenen Stil und Blickwinkel schätzen. Es lohnt sich.

Diese Freiheit ist aber auch mit Verantwortung verbunden. Du bist nun in der Situation, selbst eine Geschichte finden zu müssen, die du mit deinen Bildern erzählen möchtest. In der Regel wirst du dich mit diesem Thema über mehrere Tage, Wochen, Monate oder gar Jahre beschäftigen. Suche dir deshalb eine Geschichte, die dich interessiert und dich ausreichend motiviert, dich über den nötigen Zeitraum mit ihr zu befassen. Bestenfalls findest du ein Thema, das in deinem Umfeld präsent ist. Je kürzer die Wege, desto leichter kannst du an deinem Projekt arbeiten. Außerdem ist der Zugang zu deinen Protagonisten enorm wichtig. Im regionalen Umfeld ist die Chance höher, einen Fuß in die Tür zu bekommen. Musst du dir den Zugang zunächst erarbeiten, benötigt die Umsetzung deines Projektes mehr Zeit.

Du möchtest deine fertige Geschichte sicherlich nicht in die heimische Schublade legen und unter Verschluss halten. Du bist Fotograf und möchtest, dass deine Bilder gesehen werden – dass sie etwas bewegen. Das funktioniert, wenn das von dir gewählte Thema eine gewisse Relevanz aufweist. Diese kann persönlicher oder gesellschaftlicher Natur sein. Eine Story über den Bäckermeister von nebenan, der die besten Brote der Stadt backt, interessiert das lokale Umfeld. Eine Story über den Bäckermeister von nebenan, der mit Produkten arbeitet, die gentechnisch verändert sind und stellvertretend für die Praxis eines ganzen Handwerks steht, interessiert die gesamte Gesellschaft.

Optional kannst du den Hype selbst erzeugen. Das jedoch, ist die Königsklasse.

Recherche

Dieser Abschnitt wird kurz, jedoch ist die Recherche wohl der wichtigste Aspekt. Eine gute Vorab-Recherche entscheidet zunächst darüber, ob du das für dich richtige Thema wählst. Anschließend beeinflusst sie die Entscheidung für oder gegen eine bestimmte Perspektive. Schlussendlich erlaubt sie dir, auf fundiertem Wissen fußend, deine Projekt umzusetzen. Arbeite dich tief die Materie ein. Dich gut auszukennen, wird dir helfen, dich in den Kreisen deines Protagonisten sicher zu bewegen. Es ermöglichst dir zudem, vor Ort flexibel zu reagieren und ggf. deinen Blickwinkel noch einmal zu verändern. Das ist vielleicht nötig, wenn sich neue Fakten auftun oder du feststellst, du hast die Situation, trotz gründlicher Vorabrecherche, aus der Ferne falsch eingeschätzt.

Blickwinkel

Als Kind dachte ich naiv, Journalisten berichten über die eine große Wahrheit. Mit der Zeit lernt man, dass nicht alles immer schwarz oder weiß ist und dass es die eine große Geschichte nicht gibt; oder sie schlicht zu groß ist, um sie in Gänze zu begreifen. Kleine Geschichten lassen sich immer finden.

Bist du als Fotograf alleine unterwegs, kannst du beispielsweise eine ganze Fußball-WM nicht skizzieren. Aber du hast den Vorteil, dass du als einzelne Person kaum auffällst und an viele Orte kommst, wo ganze Teams zu sehr „auftragen“ würden. Du gelangst als Solo-Fotograf eher in eine Kabine vor dem Spiel, als dass dort ein ganzes Kamera-Team geduldet wird.

Konzentriere dich auf kleine Geschichten und ordne diese innerhalb der großen ein, z.B. einen einzelnen Spieler oder ein Team bei der Fußball-WM. Du bist somit näher dran, kannst tiefer eintauchen und ganz andere Inhalte und Emotionen herausarbeiten als jemand, der kurz vorbeihuscht.

Für deinen Essay ist es wichtig, zu wissen, was die wichtigsten Bestandteile deiner Geschichte sein werden. Gibt es einen klaren Anfang und ein eindeutiges Ende, die dir als Richtschnur bei der Gestaltung dienen können? Aus welchen verschiedenen Perspektiven kannst du eine einzelne Geschichte erzählen? Welche ist dir wichtig? Welche verfügt über die höchste (gesellschaftliche) Relevanz?

Unterliegst du zeitlichen Restriktionen, nimm dir nicht zu viele Stränge vor. Arbeite lieber an ein oder zwei kleinen Geschichten und diese dafür kristallklar heraus. Erzielst du mit diesem Essay ausreichend Aufmerksamkeit, kannst du eventuell noch einmal zurückkehren und weitere Aspekte beleuchten.

Ich habe unter anderem über zehn Jahre lang im eSport-Kontext Artikel sowie Pressemitteilungen verfasst und mich in dem Zuge mit dem Pressekodex beschäftigt. Es kann, je nach Projekt, durchaus ratsam sein, sich diesen anzuschauen und bei Wahl von Thema und Blickwinkel im Hinterkopf zu haben. Mir hilft es jedenfalls.

Beim Finde „deiner“ Perspektive helfen dir die berühmt-berüchtigten „W-Fragen“. Ein Kommunikationsmodell, das die wesentlichen Fragen aufgreift, ist die Lasswell-Formel. Sie lebt in meinem Documentary Photographer’s Field Guide, den ich in meiner Fototasche stets mitführe.

Rechtliches

Du möchtest dich möglichst auf deine Fotografie konzentrieren. Daher empfehle ich, dich möglichst frühzeitig um die Einholung von nötigen Genehmigungen (z.B. Visa) und Einverständniserklärungen (Model Release, Property Release,…) zu bemühen. Je eher du das erledigt hast, desto freier ist dein Kopf für dein eigentliches Anliegen, deine Bilder.

Auch in Zeiten der DSGVO lässt es sich in Deutschland für private Zwecke fotografieren. Das gilt nicht für das Fotografieren auf fremdem Privatbesitz, beim Fotografieren von Menschen auf der Straße als Hauptmotiv kann es ebenfalls schon schwieriger werden. Bei Online-Veröffentlichung ist es vorbei, zumindest mit den privaten Zwecken. Es gibt unfassbar viele Fallstricke.

Ich selbst fotografiere immer wieder Veranstaltungen, wo die Veröffentlichung von Fotos eine Grauzone ist, weil ich in der Regel keine schriftliche Erlaubnis des oder der Fotografierten habe. Das ist schlicht nicht leistbar. Ich veröffentliche trotzdem Bilder und lebe mit dem Restrisiko. Insofern jemand möchte, dass ich ein Foto lösche, folge ich diesem Wunsch selbstverständlich umgehend.

Die Entscheidung, wie du mit einem möglichen Restrisiko in puncto Genehmigung im weitesten Sinne verfährst, kann und will ich dir nicht abnehmen. Ich rate jedoch dazu, stets auf Nummer sicher zu gehen und das schriftliche Einverständnis einzuholen. Allein deshalb, weil viele Institutionen sich rechtlich absichern und per se ausschließlich solche Inhalte verwenden, die schriftlich abgesichert sind.

Disclaimer: Ich bin kein Rechtsanwalt und gebe an dieser Stelle keine Rechtsberatung. Wer sich gezielt informieren möchte, ziehe bitte einen Fachmann zu Rate.

Notizen

Als Fotograf gehört es zum Geschäft, seine Bilder zu zeigen. Damit das funktioniert, brauchst du eine starke Geschichte. Um sie möglichst gut erzählen zu können, solltest du nicht so vermessen sein, zu denken, du könntest dir alle Daten und Fakten merken. Insbesondere bei Langzeitprojekten, die über mehrere Jahre gehen, ist das ein Ding der Unmöglichkeit. Vielmehr gilt es, relevante Informationen zu konservieren, so dass du sie an passender Stelle wieder zur Hand nehmen und darauf aufbauen kannst.

Multimedia

Dein Notizbuch muss dabei nicht zwingend ein Notizbuch im herkömmlichen Sinne sein. Du kannst z.B. auf Video- oder Audiomaterial setzen. Stimmt die Qualität, kannst du multimediale Inhalte an verschiedenen Stellen verwerten. Womöglich entsteht unerwartet ein Film oder eine Ausstellung mit Audio-Untermalung. Es liegt bei dir, ob und in welchem Maß du auf verschiedene Medien setzt. Der Einsatz vielseitiger Technik birgt die Gefahr sich zu verzetteln.

Zielmedium

Bestenfalls machst du dir vorab Gedanken über mögliche Zielmedien und hältst dir bei der Erstellung des Materials alle Türen offen. Beschäftige dich frühzeitig mit deinen Wunsch-Zielmedien um abschätzen zu können, welche deiner Inhalte sie unter welcher Voraussetzung zeigen wollen würden. Klammern wir die Entwicklung zum mobilen Surfen kurz aus, war vor ein paar Jahren beispielsweise für Online-Verwendung zumeist das Querformat gefragt, während Cover bei Magazinen im Hochformat daherkommen.

Je mehr Auswahl ein Redakteur beim Setzen seines Artikels hat, desto leichter fällt ihm seine Arbeit. Du arbeitest sicher selbst gern mit solchen Leuten zusammen, die eure Zusammenarbeit nicht erschweren. Versetze dich in den Redakteur hinein und liefere möglichst gut aufbereitetes Material. Sorge für eine gute Auswahl, aber überflute ihn nicht mit Bildern.

Länge

Die Anzahl von Bildern, die du für dein Projekt benötigst, lässt sich von außen nur schwer abschätzen. Maßgeblich wird sie vom Zielmedium abhängen. Während Printmedien sich stets durch begrenzten und umkämpften Platz auszeichen, ist es heute leichter denn je, selbst Inhalte online zu veröffentlichen. Dabei kannst du deutlich mehr zeigen. Wichtig ist, unabhängig vom Medium, jedes Bild sollte deine Geschichte voranbringen. Dadurch hältst du das Interesse des Lesers / Betrachters aufrecht. Mehr dazu findest du z.B. in meinem Artikel über die Bildtypen der LIFE-Formel.

Technik

Gestalte deine Technik möglichst simpel. Im Zweifelsfall möchtest du wiederholt an Orte reisen und zwingst dich selbst dazu, einen einmal eingeschlagenen Weg fortzusetzen und die dafür notwendige Technik erneut mitzuführen. Bist du nicht Teil eines Teams oder hast selbst eins zur Verfügung, ist es schwierig, mit drei Blitzen oder Dauerlichtern zu hantieren und dabei noch auf dein Gegenüber einzugehen.

Der Inhalt ist für den Betrachter wichtig. Die technische Spielerei ist nur für den Fotografen.

Perfektionismus

Abschließend der wichtigste Tipp: Verabschiede dich vom Perfektionismus. Plane nicht Projekte vorab zu Tode, sondern beginne. Die meisten Ideen bleiben Ideen – und somit unumgesetzt. Das ist ein Punkt, an den ich mich selbst immer wieder erinnern muss. Auch bei mir schlummern mehrere Dutzend Projektideen in meinem Notizbuch.

Übrigens ist dieser Artikel nicht als Ultima Ratio zu verstehen. Er ist von Perfektionismus und Vollständigkeit weit entfernt. Im besten Fall konnte ich mit ihm jedoch die eine oder andere Frage aufwerfen, die in den nächsten Tagen an dir nagen wird. Dann habe ich mein Ziel erreicht.

Ich wünsche dir viel Spaß und Erfolg beim Umsetzen deines eigenen Fotoprojekts!

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