Fotos von Events und anderen Projekten arrangierte ich oftmals intuitiv in Sequenzen. Anfangs wusste ich nicht, dass dies auch als Photo Essay (auch Fotoessay oder Foto-Essay im Deutschen) bezeichnet wird. Als ich auf den Begriff stieß, war ich wie angezündet. Ich suchte nach „Best Practices“, wie man einen solchen Essay aufbaut. Bei meiner Recherche stieß ich unter anderem auf die LIFE-Formel.
The LIFE Formula
Die nachfolgenden acht Bildtypen sind mehr oder weniger klassische Bestandteile eines Photo Essays. Namentlich angelehnt an das LIFE Magazine, ein amerikanisches Wochenmagazin mit Foto-Schwerpunkt, das bis zum Jahrtausendwechsel existierte. Die Typen dienen dir in erster Linie als Wegweiser um mit ausreichend Material nach Hause zu kommen, aus dem du eine eindrucksvolle Bildstrecke erstellen kannst. Fehlen dir Bilder um die Geschichte zu erzählen, die dir vorschwebt, funktioniert im Zweifelsfall die gesamte Reportage nicht. Daher empfiehlt es sich, lieber eine Aufnahme mehr zu schießen.
1. Establishing Shot / Opener
Einführung ins grobe Setting des Essays. Oft eine Weitwinkel- oder Drohnenaufnahme. Wechselt die Location, ist ein neuer Establisher anzufertigen.
2. Medium Shot
In dem Fall: Einführung der Protagonisten. Grundsätzlich sind Medium Shots der „Fleisch am Knochen“ einer Reportage. Sie zeigen deine(n) Protagonisten in Aktion innerhalb seiner Umgebung.
3. Close-Up Shot / Detail Shot
Zeigt dem Betrachter Details, die z.B. in einem Medium Shot untergegangen wären. Teilweise abstrakt. Besonders kleine Elemente lassen sich oftmals gut als Mosaik oder in vergleichbarer Anordnung innerhalb eines Bild der Serie zusammenfassen.
4. Portrait
Bild des/der Protagonisten. Entweder als klassisches, gestelltes Portrait oder als „Environmental Portrait“ mit Umgebungskontext, z.B. am Rande einer für den Protagonisten typischen Tätigkeit. Portraits schaffen einen emotionalen Bezug zwischen Betrachter und dem/den Protagonisten.
5. Sequence
Unterstreicht den chronologischen Ablauf der Serie, hält sie zusammen / am Laufen.
6. Action Shot
Dramatische, emotionale Aufnahme, z.B. Interaktion zwischen Personen mit Momenten und Gesten, die die visuelle Kraft der Serie steigern.
7. Signature Image / Lead Photo / Decisive Moment
Stärkste Aufnahme mit dem höchsten visuellen Einfluss. Erzählt die Geschichte quasi in einem Bild. Zieht den Betrachter in die Serie, fungiert in der Regel als Cover-/Titelbild.
8. Closer / Endshot / Clincher
Neben dem Establisher, die wichtigste Aufnahme (wegen des bleibenden Eindrucks). Zusammenfassung, finaler Gedanke, Fazit. Wie der Establisher, ist auch der Closer zu wiederholen, sobald die Szenerie wechselt.
Essay-Beispiel
Die oben gezeigten Beispielaufnahmen entstammen einem persönlichen Foto-Projekt, bei dem ich seit einigen Jahren eine Ferien-Aktion des Dortmunder Jugendamtes begleite: Die Formel Respekt – „Seifenkisten für Respekt, Toleranz und Verständigung“. Um ein möglichst eingängiges Beispiel zu kreieren habe ich es mir erlaubt, Material aus mehreren Jahren zu einem fiktiven Essay zusammenzufügen. Ideal für diesen Artikel wäre die exklusive Begleitung eines Teams und eines Fahrers gewesen, so dass ein klarer Protagonist existiert hätte. Es bedarf ein wenig Vorstellungsvermögen, eine zusammenpassende Sequenz zu erkennen.
Stell dir vor, das erste Bild der nachfolgenden Serie ist das Lead Photo, das du siehst, wenn du z.B. auf einer Website auf die Geschichte stößt. Es weckt dein Interesse, du klickst den Link an und startest ab Bild 2, dem „Establisher“, mit der Serie. Dieser vermittelt dir einen Eindruck der Location. Es folgt der „Body“, die Geschichte selbst. Abgeschlossen wird mit dem „Closer“.
Kombiniere ich Wort und Schrift, kann ich zusätzlich mit den Bildunterschriften und dem Text spielen. Text ist im hiesigen Beispiel nicht hinterlegt, wohl aber Bildunterschriften. Bei diesen ist mir wichtig, dass sie nicht in anderer Form wiederholen, was der Betrachter sowieso im Foto sieht. Sie sollen einen Mehrwert liefern.
#01
Siegessicher. Der emotionaler Ausbruch kurz vor der Ziellinie hätte beinahe noch den Gegner zum Gewinner gemacht.
#02
Die Testläufe beginnen, erste Zuschauer säumen bereits die abgesperrte Strecke.
#03
Die obligatorische Fahrerbesprechung vor dem Start der Testläufe. Wichtigstes Anliegen der Rennleitung: Gesund bleiben und Spaß haben!
#04
Bezirksbürgermeister Ralf Stoltze (links) gibt offiziell den ersten Wertungslauf des Tages frei.
#05
Besser aus dem Startblock gekommen!
#06
In voller Fahrt, dem Gegner um mehr als eine Wagenlänge enteilt.
#07
Mit Muskelkraft vom Vater zurück nach oben. Im Hintergrund sieht man die Rennleitung. Die Mittagssonne scheint erbarmunslos. Bei klarem Himmel und 30° Celsius wird jede Gelegenheit genutzt, den Schatten aufzusuchen.
#08
Die Technik der Boliden unterscheidet sich massiv und manches wird vor Ort gerichtet, wenn nach einem Lauf ein Defekt auftritt.
#09
Der einzige eklatante Fehler beim Start während des gesamten Renntages. Panisch ins Lenkrad gegriffen, die Bande tuschiert, zurück in die Spur gefunden und sogar das Rennen gewonnen.
#10
Inmitten der Finalläufe: Die Pokale warten auf die Top3-Fahrer der verschiedenen Wertungsklassen.
#11
Das letzte Rennen des Tages sollte nicht das schnellste werden. Aber mit fast einer Sekunde Vorsprung gewinnt das dominante Team souverän. Für unseren Fahrer mit den fliegenden Fäusten reichte es nicht zum Finaleinzug.
#12
Verlierer gibt es heute trotzdem nicht, nur Gewinner. Eltern und Kinder laufen gleichermaßen lachend umher und genießen das grandiose Wetter in vollen Zügen. Ganz analog und draußen.
Bildauswahl
Der Zieleinlauf mit den genommenen Zeiten wäre eher das klassische Schlussbild. Da ich jedoch wusste, ich würde Bildunterschriften verwenden, wählte ich einen anderen Weg. Für mich steht das entspannte Sitzen in der Seifenkiste der Hauptperson sinnbildlich für den ganzen Tag und mit diesem Gefühl wollte ich den Betrachter verabschieden. Vielleicht kommt so jemand auf die Idee, selbst einen solchen Tag mit seinen Kindern verbringen zu wollen und wird im kommenden Jahr zum Teilnehmer, so dass die Veranstaltung wachsen und die Botschaft von Respekt, Toleranz und Verständigung noch weiter in die Welt hinaustragen kann.
Insgesamt wirst du vermutlich mehr als zwölf Fotos zur Auswahl haben und deine Kernaufgabe bei der Zusammenstellung deines Essays wird das Reduzieren von Material sein. Die Bildanzahl ist dann genau richtig, wenn du ausreichend Fotos hast um die Geschichte zu erzählen und so wenige, dass du keines mehr wegnehmen kannst, ohne dass die Strecke an Substanz verliert. Dabei können manchmal aus 100 Fotos fünf oder mehr Geschichten entstehen, ohne dass eine „richtig“ oder die andere „falsch“ ist. Über die Erzählperspektive entscheidest du. Entscheide dich während der Auswahl bewusst gegen „Lieblinge“, wenn sie die Story nicht voranbringen.
Fazit
Einzelbilder können beeindrucken. Für mich ist die Königsdisziplin jedoch das konstante Reproduzieren hochwertiger Ergebnisse, die im Abliefern von (gesellschaftlich) relevanten Serien, Sequenzen und Essays münden. Ich hoffe, ich konnte bei dir die Begeisterung für diese spannende Form der Fotografie und ihre Präsentation wecken.
Planst du derzeit einen Essay oder befindest dich in der finalen Bildauswahl? Schicke mir eine E-Mail oder verlinke mich in Social Media (@cspixde), wenn ich dir helfen konnte. Ich bin auf deine Ergebnisse gespannt!
Übrigens müssen nicht alle LIFE-Bildtypen in jeder Serie vorkommen. Üblicherweise sind mindestens Establisher, Closer und ein dritter Typ enthalten, der als „Body“ zwischen den beiden zuvor genannten dient. Vielfach ergänzt durch ein Signature Image, das als Titelbild fungiert. Diese „reduzierte Variante“ ist ein guter Einstieg zum Üben.
Bonus
Damit du dir die Bildtypen nicht merken musst, habe ich sie dir druckfähig aufbereitet. Sie sind Teil meines Documentary Photographer’s Field Guide. Flankiert unter anderem vom Storytelling-Schema der Heldenreise und weiteren nützlichen Tipps und Tricks zur erfolgreichen Umsetzung von Foto-Projekten.
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