Wir leben in einem luxuriösen Zeitalter, in dem wir uns nicht mehr vorab für einen bestimmten Farb- oder Schwarzweißfilm entscheiden müssen. Die Digitalfotografie ermöglichst es, im RAW-Format aufzunehmen und im Nachhinein über die Farbbehandlung einer Aufnahme zu entscheiden. Fotos, die du zunächst als Farbfoto behandelt hast, später mit einem Klick in ein Schwarzweißfoto umzuwandeln, kann funktionieren. Allerdings ist dies kein Muss – und üblicherweise erzielst du damit nicht das Maximum der Wirkung eines gut bearbeiteten Schwarzweißfotos.

Mein erstes Buch zum Thema Fotografie, das ich jemals gekauft habe, ist „Die hohe Schule der Fotografie“ von Andreas Feininger. Wer das Werk kennt, weiß, darin wird die Analogfotografie behandelt. Es ist immerhin erstmals im Jahr 1961 erschienen. Allerdings sind viele Grundsätze eins zu eins auf die Digitalfotografie übertragbar. So auch seine Gedanken zur Frage, ob du ein bestimmtes Motiv in Farbe oder Schwarzweiß festhalten solltest.

Andreas Feiningers Überlegungen zur Wahl zwischen Farbe und Schwarzweiß

Dokumentation vs. Kunst

Feininger beschreibt Farbfotografie als natürliche Abbildung. Schließlich sehen wir Menschen in Farbe. Mitte des 20. Jahrhunderts fotografierten noch recht wenige Fotografen in Farbe. Die Filme waren teurer, die Entwicklungskosten höher als bei Schwarzweißfilm. Der Schwarzweißfilm galt als Goldstandard. Wer etwas auf sich hielt, abstrahierte die bunte Welt in Grautöne. Aufgrunddessen definiert Feininger die Schwarzweißfotografie eher als künstlerisch. Gleichzeitig weist er jedoch klar daraufhin, für ihn sei keine Gestaltungsart der anderen überlegen, sie seien lediglich verschieden.

Es kommt auf die Farbe an

Er erklärt weiterhin, Farbe sei dann vorzuziehen, wenn bei einem Motiv diese der wichtigste Kern ist. Als Beispiel nennt er unter anderem bunte Blumen. Einleuchtend. Eine rote Rose wäre ohne ihre rote Farbe für den Betrachter keine rote Rose. Spielen beispielsweise Beleuchtung oder Form des Motivs eine entscheidende Rolle, ließe sich dies auch in Form einer Schwarzweißaufnahme festhalten. Damit würde der Fokus wechseln, z.B. die Form einer Vase wichtiger werden als ihre Farbe.

Manchmal funktioniert Farbe nicht

Feininger weist zusätzlich auf Aspekte der Farbtreue hin, die mit Analogfilmen bisweilen schwierig zu erzielen waren. Heutzutage gibt es Graukarten und andere Tools für nachträgliche Farbkorrekturen digitaler Bilder, so dass eine „neutrale“ oder „richtige“ Farbwiedergabe relativ leicht erreicht werden kann. Es sei der Vollständigkeit halber, für die Hipster mit dem Analogzeug, erwähnt.

Der Verwendungszweck entscheidet

Darüber hinaus gibt Feininger den Tipp, Berufsfotografen mögen den Verwendungszweck der Aufnahmen von vornherein berücksichtigen. Bei ihm geht es dabei wiederum eher um Aspekte der Vervielfältigung von analogem Bildmaterial und dem verbundenen Mehraufwand hinsichtlich der Farbfilme.

Nichtsdestotrotz hat der Hinweis heute keineswegs an Aktualität eingebüßt. Zu Feiningers Zeiten prägten Schwarzweißaufnahmen das Bild von Zeitungen und Zeitschriften. Blätterst du heute an einem Kiosk die Zeitschriften durch, wirst du kaum noch Schwarzweißaufnahmen in ihnen finden. Der heutige Goldstandard ist – in kommerzieller Hinsicht – überwiegend die Farbaufnahme.

Entsprechend gilt es abzuwägen, ob der jeweilige Verwendungszweck Schwarzweißaufnahmen zulässt. Ist das nicht der Fall, gilt einmal mehr „kill your darlings“. Sortiere notfalls Aufnahmen aus, die dir besonders am Herzen liegen. Du kannst diese jederzeit anderweitig zweitverwerten, z.B. für deine eigene Website oder deine Social Media-Accounts. Mitte des 20. Jahrhunderts blieb dafür nur die eigene Wand – oder die berühmte Schublade. In der Hinsicht haben wir Fotografen es inzwischen ein gutes Stück leichter, unsere Arbeiten der Öffentlichkeit zu präsentieren.

Im Falle von Auftragsarbeiten sind selbstverständlich die Inhalte des geschlossenen Vertrags bindend.

Meine Gedanken zu Andreas Feiningers Ausführungen

Feinigers Überlegungen sind genauso aktuell wie Grundlagen der Bildgestaltung, die auf die Maler zurückgehen, welche vor Hunderten von Jahren lebten. Das hängt mit dem Umstand zusammen, wie wir Menschen sehen, wie wir Bilder betrachten, was wir als visuell angenehm oder unangenehm empfinden. Teilweise sind diese Empfindungen biologisch bedingt, andere sind erlernt. Dazu vielleicht demnächst in einem anderen Beitrag mehr.

Nachfolgend möchte ich dir anhand von Beispielen vertiefend aufzeigen, wieso Fotos in Farbe oder eben in Schwarzweiß besonders gut funktionieren. Ausgangsmaterial ist immer eine „neutrale“ RAW-Datei, die ich mittels Bildbearbeitung in Farbe oder Schwarweiß entwickle.

Warum funktionieren Fotos in Schwarzweiß?

Spielt Farbe keine große Rolle und liegen ausreichend hohe Kontraste vor, lassen sich Aufnahmen oftmals sehr gut in Schwarzweiß ausgeben. Hier am Beispiel einer Dohle. Der Vogel selbst weist, wie du anhand der unbearbeiteten RAW-Datei nachvollziehen kannst, keine nennenswerte Farbe auf, vielmehr rührt der Farbakzent vom Hintergrund her. Das ist eine potenzielle Ablenkung vom Hauptmotiv. Da durch das bewusst gewählte Gegenlicht hohe Kontraste vorliegen, „funktioniert“ diese Aufnahme wunderbar in Schwarzweiß. Für mich war bereits vor dem Drücken des Auslösers klar, welchen Weg ich bei der Bearbeitung einschlagen würde.

Dohle im Gegenlicht

Vielfach werden bearbeitete Farbbilder im Anschluss mit einem Klick in Schwarzweiß konveriert. Damit verschenkt man in der Regel Potenzial. Schaust du dir das obige Foto der Dohle an, stellst du fest, ich habe sehr bewusst für die Darstellung in Schwarzweiß bearbeitet. Der Kontrast wurde im Gefieder lokal angehoben, Teilbereiche des Bildes gezielt abgedunkelt, um den Blick des Betrachters unmittelbar auf den Vogel zu lenken. Würde man das auf diese Weise bearbeitete Foto wieder in Farbe umwandeln, würde es nicht wirken. Es wäre zu kontrastreich. Allerdings braucht ein gutes Schwarzweißbild diese Kontraste, und die solltest du in der Bearbeitung durchaus herausarbeiten. „Spezialfälle“, zu deren Wirkung eine kontrastarme Präsentation gehört, ausgenommen.

Warum funktionieren Fotos in Farbe?

Grün- und Gelbtöne in der Natur haben oftmals ähnliche Luminanzwerte, wodurch sie relativ selten als Schwarzweiß „funktionieren“, weil bei der Umwandlung großflächige Bereiche in beinahe demselben Grauton entstehen. Fälle in denen es einigermaßen gelingen kann, sind solche, in denen das Licht „richtig“ eingesetzt wurde, um die Luminanzwerte zu „spreizen“. Das ist im nachfolgenden Beispiel der Fall. Grundsätzlich sprechen solche Farbharmonien (gelb und grün liegen im Farbkreis nebeneinander) eher für die Verwendung von Farbe. Auch beim Beispiel würde ich die Farbvariante vorziehen, obwohl die Schwarweißversion „funktioniert“.

Neben solchen Farbharmonien funktionieren bestimmte Farbkombinationen von im Farbkreis versetzt angeordneten Elementen besonders gut. Dabei wird zwischen verschiedenen Varianten unterschieden, z.B. Komplementärkontraste (zwei Farben, die einandern im Farbkreis gegenüber liegen) oder Dreiklänge (u.a. drei Farben, die jeweils um 120° versetzt liegen). Das Thema ist eine Wissenschaft für sich. Ich kann dir nur empfehlen, dich ein wenig in Farbenlehre einzuarbeiten.

v.l.n.r.: RAW, Farbe, SW

Fazit

Manche Fotos funktionieren als Farbversion, manche als Schwarzweißversion, manche sowohl als auch. Wichtig ist, sich darüber klar zu sein, warum das so ist, statt blind von einem zum anderen zu schwenken, weil Farbe oder Schwarzweiß nicht funktionieren. Hast du die Kriterien für gute Schwarzweiß- und Farbfotos im Kopf, kannst du dir oftmals den Versuch sparen, von A nach B zu konvertieren. Du vermagst bereits im Vorhinein abzuschätzen, ob sich der Aufwand lohnen wird.

Bonus

Ich führe in verschiedenen Blogbeiträgen immer wieder an, wieso ich Fotos in Farbe oder Schwarzweiß präsentiere. Ein solcher Artikel ist beispielsweise der kürzlich veröffentlichte über die „Dortmunder Langstrecke“. Es sollte eine Reportage werden. Final wurde das Ergebnis nicht ganz, wie erhofft. Ob das mit meiner Entscheidung für Farbe oder Schwarzweiß zusammenhängt, findest du hier heraus.

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